Wenn das Leid sich vermehrt: Begleiterkrankungen bei Kopfschmerz und Migräne

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt Migräne zu den am stärksten behindernden Erkrankungen der Menschheit. Kopfschmerzerkrankungen stellen für Betroffene eine große Belastung dar. Zusätzlich besteht bei Menschen, die an Kopfschmerzen oder Migräne leiden, ein erhöhtes Risiko dafür, dass weitere Erkrankungen oder Beschwerden hinzukommen. Diese Begleiterkrankungen (in der Fachsprache „Komorbiditäten“ genannt) bei Kopfschmerzen und Migräne werden in der jüngeren Forschung vermehrt in den Blick genommen. Dieser Artikel stellt die neueren Erkenntnisse auf diesem Gebiet dar.

Untersuchungen belegen Risiko für Kopfschmerzbetroffene

In einer umfangreichen Untersuchung wurden Forschungsergebnisse der Jahre 2000 bis 2020 mit Informationen von 4,2 Millionen Kopfschmerzbetroffenen ausgewertet. In nahezu zwei Dritteln (ca. 64%) der Fälle wurde von Begleiterkrankungen bei Kopfschmerzen und Migräne berichtet. Die am häufigsten genannten Begleiterkrankungen waren depressive Erkrankungen, Bluthochdruck und Angst-Erkrankungen. Es kann inzwischen als gesichert gelten, dass primäre Kopfschmerzerkrankungen mit einer Vielzahl von Komorbiditäten vergesellschaftet sind. Das bedeutet: Menschen, die an sogenannten primären Kopfschmerzerkrankungen wie Migräne oder Kopfschmerz vom Spannungstyp leiden, besitzen grundsätzlich ein erhöhtes Risiko für eine Reihe von Begleiterkrankungen.

Richtige Befunde sind selten

Die Erhebungen zeigen, dass Begleiterkrankungen von Kopfschmerzen häufig nicht genau festgestellt und dem zugrundeliegenden Kopfschmerz zugeordnet werden. Anzeichen von Angst- oder depressiven Erkrankungen beispielsweise werden häufig nicht als solche erkannt. Das macht eine gezielte Therapie unmöglich. Oftmals ist bei den behandelnden Ärzt:innen kaum Bewusstsein und Kenntnis von Begleiterkrankungen bei Kopfschmerzen vorhanden. Daher erfahren die Patient:innen mit ihren Beschwerden nicht die Begleitung, die notwendig wäre. Das kann für die Betroffenen schwerwiegende Folgen haben. Denn eine ganzheitliche Diagnose mit Berücksichtigung aller beteiligten Umstände könnte ihren Leidensdruck vermindern und die Lebensqualität erheblich verbessern.

Die Begleiterkrankungen sind vielfältig

Menschen, die von einer primären Kopfschmerzerkrankung betroffen sind, leiden zu etwa 20% öfter unter Depressionen und Angststörungen als die Kopfschmerz-freie Bevölkerung. Besonders stark betroffen sind eher jüngere als ältere und eher weibliche als männliche Patienten. Als die am häufigsten vorkommenden psychiatrischen Komorbiditäten (die Seele betreffenden Erkrankungen; „Psychiatrie“ bedeutet wörtlich übersetzt etwa „Seelenheilkunde“) werden Angststörungen (25%), Depression (23%) und sogenannte Posttraumatische Stresserkrankungen (15%) genannt. Letztere sind gekennzeichnet durch verringerte Belastbarkeit im Alltag, Schreckhaftigkeit, Übererregbarkeit sowie den Verlust von Selbstvertrauen und -sicherheit.

Daneben treten auch körperliche Erkrankungen wie Bluthochdruck vermehrt auf, wobei hier die höheren Altersgruppen und die männlichen Patienten stärker betroffen sind. Herz- und Kreislauferkrankungen nehmen unter den Begleitkrankheiten bei Kopfschmerz einen bedeutenden Platz ein. So stellt Migräne (vor allem Migräne mit Aura) bei jüngeren Frauen einen erheblichen Risikofaktor für Schlaganfall dar. Auch Herzerkrankungen, die auf Durchblutungsstörungen beruhen, treten bei Migränepatient:innen häufiger auf als in der sonstigen Bevölkerung.

Die Beeinträchtigung der Betroffenen steigt durch Begleitkrankheiten

Neuere Untersuchungen setzen den Grad an persönlicher Beeinträchtigung, den Betroffene durch ihre Migräne erfahren, mit der zusätzlichen Beeinträchtigung durch psychiatrische Begleiterkrankungen ins Verhältnis. Dabei zeigte sich eine erhebliche Mehrbelastung durch seelische Begleiterkrankungen. So lag der Anteil der Patient:innen mit einer mittleren bis schweren Beeinträchtigung bei „nur Migräne“-Betroffenen bei etwa 28%. Kam eine zusätzliche Angststörung hinzu, stieg er auf 43%, bei Depression auf 51%. Für Migränebetroffene mit beiden Begleiterkrankungen stieg der Anteil sogar auf 61%. Diese Erhebungen zeigen eine deutliche Verstärkung des Leidensdrucks von Migränepatient:innen, bei denen zusätzlich zu ihrer primären Kopfschmerzerkrankung psychiatrische Erkrankungen vorliegen.

Ein Teufelskreis aus Kopfschmerz und Begleiterkrankungen

Besondere Beachtung muss man der Tatsache entgegenbringen, dass primäre Kopfschmerzerkrankungen und die begleitenden Beschwerden sich oftmals gegenseitig beeinflussen. Angst- und Depressionszustände gelten schon lange als Auslöser von Migräneattacken. Wenn sie gleichzeitig als Folge häufiger Kopfschmerzen auftreten, wird deutlich, wie stark sich Kopfschmerz- und Begleiterkrankung gegenseitig bedingen können. Bei Schlafstörungen zeigt sich dasselbe Problem. Diese treten häufig parallel zu Kopfschmerzerkrankungen auf: Ihre durchschnittliche Häufigkeit wird in den betreffenden Studien mit 48% angegeben. Schlafstörungen können dabei als Auslöser für Kopfschmerz wirken. Andererseits ist auch bekannt, dass häufiger Kopfschmerz einen erheblichen Störfaktor für einen erholsamen Schlaf darstellt. Dieser Umstand wiederum hat einen starken Einfluss auf die seelische Gesundheit, denn Schlafstörungen können unter anderem langfristig zu depressiven Begleiterkrankungen führen.

Nachhaltige Vorbeugung kann vielfach wirksam sein

Letzteres stützt die altbewährte Annahme, dass ausreichender und erholsamer Schlaf eine tragende Säule bei der Vorbeugung von Kopfscherzen und Migräne sein muss. Es zeigt zugleich die Bedeutung für ihre Begleiterkrankungen. Allgemein lässt sich aus den verfügbaren Erkenntnissen und Forschungsergebnissen ableiten, wie wirkungsvoll eine nachhaltige Vorbeugung von Migräne und Kopfschmerzen nicht nur den primären Erkrankungen selbst entgegenwirken kann. Darüber hinaus kann man damit auch eine Vielzahl von möglichen Begleiterscheinungen verhindern. Verringert sich die Kopfschmerzbelastung, mindert dies auch die Gefahr von weiteren, daraus erwachsenden Erkrankungen. Überdies muss es in der ärztlichen Betreuung der Betroffenen ein Umdenken dahingehend geben, dass belastende Begleiterscheinungen erkannt und gezielt behandelt werden, damit besonders Schwerstbetroffene mit ihrem vielfältigen Leiden nicht allein bleiben.

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