Der Medikamenten-Übergebrauchs-Kopfschmerz – ein vermeidbares Problem

Der Kopfschmerz durch Medikamenten-Übergebrauch (im Folgenden als MÜK bezeichnet) ist schon recht lange bekannt. Er wurde erstmals im Jahre 1951 als eigenständige Erscheinung beschrieben. Er kommt immer im Zusammenhang mit Migräne oder Kopfschmerz vom Spannungstyp vor und entsteht durch den Übergebrauch von Schmerzmitteln über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten hinweg. Dieser Übergebrauch besteht dann, wenn die Patient:innen an mehr als 10 Tagen im Monat Schmerzmedikamente einnehmen, und zwar über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten hinweg. Etwa 90% der Betroffenen haben eine solche Kopfschmerz-Geschichte, bei Menschen ohne eine Vorerkrankung kommt er praktisch nicht vor, selbst dann nicht, wenn diese wegen anderer Beschwerden Schmerzmedikamente einnehmen.

Von einem MÜK spricht man, wenn der beschriebene Übergebrauch der Medikamente an mindestens 15 Tagen pro Monat Kopfschmerz auslöst. Die gute Nachricht: MÜK lässt sich durch Vorbeugungsmaßnahmen vermeiden. Doch dazu später mehr.

Wie häufig kommt MÜK vor?

Obwohl es viele Untersuchungen gibt, gehen die Schätzungen zur Häufigkeit von MÜK auseinander. Laut einer Erhebung zur allgemeinen Krankheitsbelastung, die regelmäßig in der renommierten Medizinzeitschrift „Lancet“ veröffentlicht wird, dürften etwa 1–2 % der Gesamtbevölkerung betroffen sein. Dies bedeutet, dass weltweit zwischen 50 und 100 Millionen Erwachsene unter MÜK leiden. Frauen sind zwei- bis dreimal häufiger betroffen als Männer. Außerdem scheint die Erkrankung bei verschiedenen Berufsgruppen in sehr unterschiedlichem Ausmaß vorzukommen. So legen genauere Untersuchungen nahe, dass dieses Problem beispielsweise in den Heil- und Pflegeberufen deutlich stärker verbreitet ist.

Wie entsteht MÜK?

Der Zusammenhang zwischen der häufigen Einnahme von Kopfschmerzmedikamenten und der Entstehung von MÜK ist wissenschaftlich gut belegt. Der genaue Entstehungsvorgang hingegen konnte bislang noch nicht hinreichend aufgeklärt werden.

Man geht heute davon aus, dass Signal- und Botenstoffe des Körpers eine Rolle spielen, die für die Übertragung und Verarbeitung von Schmerzreizen verantwortlich sind. Durch die übermäßige Medikamenteneinnahme werden sie in ihrer Funktion und Wirkungsweise verändert. Dauert die Einnahme weiter an, wird die Schmerzkontrolle beeinträchtigt. Die Schmerzempfindlichkeit steigt, die Kopfschmerzattacken werden häufiger und schwerer. So kommt es, dass die Medikamente selbst auslösen, was sie eigentlich verhindern sollten: quälenden Kopfschmerz.

Auswirkungen auf das Gehirn

Mithilfe bildgebender Untersuchungsverfahren konnte gezeigt werden, dass es bei den von MÜK betroffenen Patient:innen Veränderungen in der Beschaffenheit bestimmter Hirnareale gibt. Diese werden von Wissenschaftler:innen mit einer veränderten Schmerzverarbeitung in Verbindung gebracht. Darüber hinaus fand man auch im Gehirnstoffwechsel auffällige Abweichungen. So stellte man fest, dass in den untersuchten Hirnbereichen die Menge verfügbarer Transportmoleküle für den wichtigen Botenstoff Dopamin verringert war. Daraus folgerten die Wissenschaftler:innen, dass die hirneigene Signalübertragung durch diesen Mangel beeinträchtigt ist. Dies könnte eine Rolle bei der Entstehung des MÜK spielen.

Von besonderem Interesse war die Beobachtung, dass einige der festgestellten Veränderungen sich zurückbildeten, sobald die übermäßige Einnahme der Medikamente gestoppt wurde. Dennoch scheint das nicht für alle Stoffwechselwege zu gelten, die durch die Schmerzmittel in Mitleidenschaft gezogen werden. So konnte beispielsweise ein beeinträchtigter Glukose-Haushalt durch Medikamenten-Entzug nicht wieder auf das normale Maß gebracht werden. Gerade eine intakte, gut arbeitende Glukoseverarbeitung ist indessen für die Vermeidung von Kopfschmerzen unerlässlich.

Die Medikamenteneinnahme stets im Blick mit der 10-20-Regel

Das wirksamste Mittel, einem MÜK vorzubeugen, ist das Einhalten der sogenannten 10-20-Regel. Diese besagt, dass an maximal 10 Tagen pro Monat Akutschmerzmittel eingenommen werden dürfen, an mindestens 20 Tagen im Monat sollten Betroffene ganz auf solche Medikamente verzichten. Die Menge und Dosierung spielen bei dieser Einnahmeregelung keine Rolle, es kommt auf die Anzahl der „Medikamententage“ an. Äußerst hilfreich ist dabei die Kopfschmerzwissen-App. Sie enthält einen Medikamenten-Zähler, der Nutzer:innen warnt, wenn die Medikamenteneinnahme im kritischen Bereich liegt. Dies unterstützt dabei, die 10-20-Regel zu beachten.

Was kann helfen?

Falls sich dennoch ein MÜK entwickelt hat, sollte die Medikamentenpause als wirksamstes Mittel zum Einsatz kommen, verbunden mit einer umfassenden medizinischen Begleitung. Zahlreiche Untersuchungen kommen gleichlautend zu dieser Empfehlung, die man unter dem Oberbegriff der „drug holidays“, zu Deutsch also etwa „Ferien von den Medikamenten“ zusammenfassen kann. Im Kern geht es darum, dem Nervensystem die nahezu permanente Gabe von Schmerzmitteln zu ersparen und auf deren Einnahme für einen bestimmten Zeitraum gänzlich zu verzichten. Weil die Medikamente die ursächliche Quelle der Störungen in der Wahrnehmung von Schmerz darstellen, wird der vollständige Entzug als einzig wirksame Maßnahme angesehen. Nur so erhält das Schmerz-Regulationssystem die Chance, die Kontrolle über das Schmerzgeschehen zurückzugewinnen. Was klingt wie ein klassischer Drogenentzug, wirkt durchaus ähnlich. Die zentrale Fehljustierung kann auf diese Weise behoben werden. In der Folge nehmen Häufigkeit und Schwere der Attacken ab, wie in zahlreichen Studien belegt werden konnte.

Jeder derartige Entzug sollte durch Verhaltensmaßnahmen begleitet werden, wenn er dauerhaft zum Erfolg führen soll. Deshalb wird empfohlen, diese schwierige Phase mit ärztlicher Unterstützung durchzuführen. Eine wichtige Grundlage für Prävention und Behandlung des MÜK ist außerdem eine gründliche Aufklärung der Patient:innen. Sie hilft, ein Verständnis von Ursache und Wirkung im Schmerzgeschehen zu schaffen.

Die Vorbeugung ist das wichtigste Mittel

Will man dem MÜK vorbeugen, ist also die beste Maßnahme die Einhaltung der 10-20-Regel. Wird diese konsequent beachtet, lässt sich der MÜK gänzlich vermeiden. Dies führt zu einer spürbaren Verbesserung der Lebensqualität, so dass die Betroffenen eine starke Motivation erfahren, langfristig „bei der Sache“ zu bleiben. Es ist vielfach belegt, dass eine Verhaltensänderung im Sinne der 10-20-Regel beim Einsatz von Schmerzmitteln sich über Jahre hinweg positiv auf das gesamte Wohlbefinden der Patient:innen auswirkt. Mit dieser Gewissheit im Gepäck stehen die Chancen gut, eine erfolgreiche Prävention zu schaffen und den MÜK dauerhaft zu besiegen.

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