Corona geht, der Kopfschmerz bleibt – Kopfschmerz als Krankheitszeichen bei Long COVID

Gut zwei Jahre nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie, die für eine lange Zeit die ganze Welt lahmlegen sollte, konnte endlich das Ende dieser Heimsuchung verkündet werden. Die Erleichterung auf dem gesamten Globus war groß. Das Virus war damit nicht aus der Welt. Aber es hatte nach Einschätzung von Expert:innen seinen pandemischen Schrecken verloren und war in einen endemischen Zustand übergegangen. Nun sollte die Zeit des Aufbruchs, des Wieder-Anknüpfens an das alte Leben beginnen.

Leider galt dies aber nicht für alle. Denn einerseits steigt auch zur Herbstsaison 2023 wieder die Zahl der Corona-Infektionen. Zum anderen zeigte das Virus bei einem Teil der Infizierten über die akute Infektion und Erkrankung hinaus noch eine länger anhaltende Wirkung. Unter dem Begriff „Long COVID“ wurde die Gesamtheit unterschiedlichster Krankheitszeichen zusammengefasst, die Betroffene auch nach ihrer eigentlichen Genesung weiter belasten.

Was ist Long COVID?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Long COVID als Beschwerden, die
- in der Regel etwa drei Monate nach einer COVID-Erkrankung auftreten
- mindestens zwei Monate andauern und
- nicht durch eine andere Diagnose erklärt werden können.

So unpräzise diese Definition ist, so vielfältig ist das Erscheinungsbild der Erkrankung. Daher stellt sie auch für die üblichen medizinischen Untersuchungsverfahren eine besondere Herausforderung dar. Betroffene zeigen in der Regel niemals sämtliche Krankheitszeichen, die als „typisch“ für Long COVID angesehen werden. Zudem: die Beschwerden treten nicht dauerhaft auf. Sie wechseln in ihrer Schwere und können auch nach einer beschwerdefreien Zeit zurückkehren. Die meisten Betroffenen sind im Alltag und in ihrem allgemeinen Wohlbefinden merklich beeinträchtigt.

Ein unübersichtliches Beschwerdebild

Kopfschmerzen, Müdigkeit, Atemnot, Schlafprobleme, Gelenk- und Muskelschmerzen sowie Angstzustände und Depressionen gehören zu den besonders häufig genannten Beschwerden. Hinzukommen können Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit (im Englischen als „brain fog“, also „vernebeltes Gehirn“ bezeichnet). Zudem werden Veränderungen im Geschmacks- und Geruchssinn beschrieben – eine Erscheinung, die bereits aus der akuten Erkrankung mit COVID-19 bekannt ist.

Hinsichtlich der Häufigkeit der Erkrankung schwanken die Angaben aus den vorhandenen Erhebungen deutlich. Je nach Untersuchung findet man Anteile von sieben bis etwa 40 Prozent bei Patient:innen, die sich ursprünglich mit COVID-19 infiziert hatten, und zwar sowohl mit milden als auch mit schweren Verläufen – auch mit Klinikaufenthalt.

Eine umfangreiche Auswertung von mehr als 30 Untersuchungen zeigte beispielsweise, dass zwei Monate nach der akuten Erkrankung der Anteil an Long COVID-Patient:innen bei etwa 17 Prozent lag, nach sechs Monaten waren es noch acht Prozent. Einer amerikanischen Erhebung aus dem Jahr 2023 zufolge zeigten sieben Prozent der Genesenen Anzeichen von Long COVID. Jeder vierte der Betroffenen klagte über Einschränkungen im Alltag.

Kopfschmerz als Begleiter von Viruserkrankungen – und bei COVID-19 auch darüber hinaus

Dass Kopfschmerz zu den häufigsten Beschwerden im Rahmen einer akuten COVID-19-Erkrankung wie auch von Long COVID zählt, belegen zahlreiche Studien. Dies überrascht nicht, denn auch bei anderen Virusinfektionen kommt es oft zu Kopfschmerz als Begleiterscheinung. Bei Long COVID kommt allerdings die Gefahr hinzu, dass die Schmerzen chronisch, also dauerhaft werden. Das beeinträchtigt die Betroffenen über lange Zeit hinweg, auch nach Abklingen der ursprünglichen Virusinfektion.

Der Zusammenhang zwischen Long COVID und Kopfschmerz kann auf unterschiedliche Weise zustande kommen. So kommt es bei manchen Migränebetroffenen zum Beispiel zu einer Verschlimmerung ihrer bereits bestehenden Erkrankung. Die Attacken treten nach ihrer Corona-Infektion häufiger auf oder dauern länger als vorher.

Bei Menschen, die bis zu ihrer COVID-19-Erkrankung nicht unter Kopfschmerzen litten, kann sich nach Abklingen der eigentlichen Infektion erstmals Kopfschmerz entwickeln. Zur Dauerbelastung durch Kopfschmerz scheint es bei bereits bestehenden Beschwerden eher zu kommen als ohne eine persönliche Kopfschmerz-Vorgeschichte.

Long COVID-Kopfschmerz manifestiert sich bei den Betroffenen sowohl mit Migräne-ähnlichem Erscheinungsbild als auch mit Beschwerden, die eher dem Spannungskopfschmerz zuzuordnen sind.

Wie entsteht Long COVID-Kopfschmerz?

Die Entstehungswege des Long COVID-Kopfschmerzes sind seit der Entdeckung dieser Erscheinung Gegenstand der Forschung. Lange war nicht klar, worin die Gründe der Beschwerden lagen. Man spekulierte über eine allgemeine Schädigung der Organe durch das Virus, Auswirkungen auf das Immunsystem, das Fortbestehen von Viren im Körper oder auch unerwünschte Nebenwirkungen der verabreichten Medikamente.

Einen Durchbruch bei der Ursachensuche könnte eine jüngst veröffentlichte Arbeit (Oktober 2023) aus den USA bedeuten. Die Forscher entdeckten, dass es während der akuten Erkrankung an COVID-19 bei den Patient:innen zu einem Abfall des im Blut zirkulierenden Serotonins kam. Serotonin ist ein Botenstoff im menschlichen Körper. Seine Wirkungen sind äußerst vielfältig. Sie betreffen das Herz-Kreislauf-System, Blutdruck und -gerinnung, Magen-Darm-System sowie die Schmerzempfindung und -verarbeitung, um nur die wichtigsten zu nennen.

Bei Genesenen normalisierte sich der Serotonin-Wert wieder, nachdem sie die Virusinfektion überstanden hatten. Entwickelten die Betroffenen allerdings Long COVID, so blieb das Serotonin weiter auf dem niedrigen Niveau. Ein ähnlicher Serotoninmangel wurde auch bei Patient:innen gefunden, die sich mit anderen Viren infiziert hatten. Möglicherweise ist man mit diesen Befunden einer allgemeinen Reaktion des menschlichen Körpers bei Virusinfekten auf die Spur gekommen.

Immunantwort, Serotonin und Kopfschmerz – ein sensibler Zusammenhang

Das angeborene Immunsystem setzt bei Viruskontakt verstärkt sogenannte Interferone vom Typ 1 frei. Diese Immun-Botenstoffe wirken auf die Darmschleimhaut, in der die Bildung von Serotonin stattfindet. Die Interferone hemmen in den Zellen der Darmschleimhaut die Serotonin-Herstellung. Ein niedriger Serotoninspiegel beeinflusst die Gerinnungsaktivität bestimmter Blutzellen, der Thrombozyten. Es kommt vermehrt zur Bildung von mikroskopisch kleinen Gerinnseln in den Blutgefäßen, die man bei Patient:innen mit Long COVID häufig findet. Diese können die Blutversorgung beeinträchtigen.

Der Mangel an Serotonin wirkt sich auch auf die Funktion des Gehirns aus. Zwar kann es die sogenannte Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden, aber man vermutet einen anderen Weg der Beeinflussung: Ist nicht genug Serotonin vorhanden, wird die Funktion des sogenannten Vagusnervs beeinträchtigt. Dieser ist unter anderem aktiv an der Steuerung von Prozessen beteiligt, die sich auf das Gedächtnis, die Speicherung von Informationen und unter anderem auch auf das Kopfschmerzgeschehen auswirken. Dies würde die Beschwerden von Long COVID erklären, die zu den typischen Funktionsstörungen, dem „Gehirn-Nebel“, führen, also zu Konzentrationsschwierigkeiten und Abgeschlagenheit, und eben auch zu Kopfschmerz.

Impfen ist Trumpf – auch gegen Long COVID

Die gute Nachricht: Inzwischen ist gut belegt, dass die Impfung gegen COVID-19 nicht nur gegen schwere Verläufe der eigentlichen Erkrankung schützt, sondern auch das Risiko für Long COVID erheblich senkt. Das heißt: Mit der Impfung lassen sich auch die Begleitsymptome vermeiden. Dabei wirkt eine sogenannte Booster-Impfung, also die Auffrischung des Impfschutzes, besonders gut. So konnte eine Untersuchung an Mitarbeitenden im Gesundheitswesen zeigen, dass die Anzahl der Schutzimpfungen gegen COVID-19 in einem umgekehrten Verhältnis zum Risiko steht, an Long COVID zu erkranken. Es bestand demnach eine um zwei Drittel verminderte Wahrscheinlichkeit für Long COVID nach drei Impfungen. Man kann also wohl davon ausgehen, dass die wirksamste Präventionsmaßnahme nicht nur gegen eine krankheitsauslösende Infektion mit dem Virus, sondern auch gegen Long COVID, die konsequente Anwendung der Schutzimpfung ist.

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