Migräne und Kopfschmerz bei Erwachsenen – eine weltweite Herausforderung

Bei Migräne handelt es sich nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) um eine der am stärksten behindernden Erkrankungen des Menschen. Dennoch werden bis heute viele Migränebetroffene nicht als krank wahrgenommen und nicht selten geringschätzig angesehen. Migräne und andere Kopfschmerzerkrankungen gehören in den Augen vieler Menschen zu den Beschwerden, die sie nicht recht ernst nehmen. Eine solche Haltung beruht allerdings in der Regel auf einem Mangel an Information über Entstehung und Auswirkungen von Kopfschmerzerkrankungen.

Um dem Leidensdruck der Patient:innen Rechnung zu tragen und möglichst vorbeugend gegen diese große, weltweite Belastung vorzugehen, sollte man das vielschichtige Krankheitsbild ohne Vorurteile und auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und Empfehlungen betrachten. Nur so kann das Krankheitsgeschehen merklich eingedämmt und den Betroffenen wirksam geholfen werden.

Kopfschmerzen sind weltweit ein Problem

Eine kürzlich erschienene Übersichtsarbeit zur Kopfschmerzhäufigkeit zeigt, dass weltweit mehr als jeder zweite Mensch (52%) von Migräne oder Kopfschmerzen betroffen ist. Zu beachten ist hier allerdings, dass die Mehrzahl der über 350 ausgewerteten Publikationen hierzu sich auf wohlhabende Länder bezieht. Demnach liegt der Anteil an Migränebetroffenen insgesamt bei etwa 14%, unter Kopfschmerz vom Spannungstyp leiden ca. 26% der untersuchten Weltbevölkerung. Diese Daten stimmen mit den neuesten Ergebnissen überein, die im Rahmen einer groß angelegten Erhebung zur weltweiten Gesundheit im Jahre 2019 vorgestellt wurden und die zeigen, dass Kopfschmerzen und Migräne keineswegs eingebildete Leiden sind, die von der Gesellschaft ignoriert werden sollten. Man kann angesichts dieser Daten davon ausgehen, dass jeden Tag knapp 16% der Menschen auf der Erde unter Kopfschmerzbeschwerden leiden.

Erhebliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern

Eine neuere Veröffentlichung von schweizerischen Wissenschaftler:innen betrachtetet die Geschlechterverteilung bei Migräne- und Spannungskopfschmerz-Patienten und zeigt bedeutende Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Betroffenen auf – und zwar nicht nur in Bezug auf die Häufigkeit, sondern auch hinsichtlich der Begleiterkrankungen, der krankheitsbegleitenden Faktoren oder der Behandlungserfolge. Frauen, so ein Ergebnis der Auswertung, sind wesentlich öfter von Migräne betroffen und leiden stark unter den Folgen der Erkrankung. Eine besonders häufig zu beobachtende Folge ist, dass sich die Patientinnen bewusst aus der Öffentlichkeit zurückziehen und sich in ihrem Leid nicht ernstgenommen fühlen; nahezu 40% der betroffenen Frauen vermeiden es sogar, anderen Menschen von ihren Kopfschmerzen zu berichten. Zudem leiden weibliche Migränepatienten oft unter Angstzuständen oder depressiven Phasen zwischen den Attacken. Auch ist ihre Schmerzbelastung durchweg höher als bei männlichen Patienten.

Migräne bleibt bei Männern oft unerkannt

Gehen Frauen wegen ihrer Migräne-Beschwerden zur Ärztin oder zum Arzt, so erhalten sie wesentlich öfter die korrekte Diagnose „Migräne“ als das bei männlichen Patienten der Fall ist. Die Autor:innen der Untersuchung nehmen an, dass dabei möglicherweise noch immer die (falsche) Annahme eine Rolle spielt, bei Migräne handle es sich um eine typische „Frauenkrankheit“. Offenbar gibt es auch hier noch einen erheblichen Aufklärungsbedarf.

Probleme auch bei jungen Erwachsenen

Gesundheitsdaten von mehr als 50.000 jungen Menschen, die über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren vergleichend ausgewertet wurden, weisen darauf hin, dass die besondere Zeit des Übergangs vom Jugend- zum Erwachsenenalter für Migränepatient:innen auch besondere, krankheitsbedingte Herausforderungen mit sich bringt. Unter den Menschen, bei denen eine Migräne diagnostiziert worden war, stellte man im Vergleich zur migränefreien Vergleichsgruppe ein mehr als verdoppeltes Risiko fest, im Erwachsenenalter zusätzlich sogenannte Affekt- oder Stimmungsstörungen zu entwickeln. Ähnlich besorgniserregende Befunde ergaben sich in Bezug auf Verhaltensstörungen und die allgemeine stressbedingte Krankheitsanfälligkeit. Die Verfasser:innen der Veröffentlichung mahnen an, dass diese Zusammenhänge bei der medizinischen Begleitung der Patient:innen stärkere Berücksichtigung finden sollten.

Vorbeugung und Behandlung ohne Medikamente

Obwohl zahlreiche Untersuchungen zu dem Ergebnis kommen, dass verhaltensbasierte Vorbeugungsmaßnahmen gegen Kopfschmerzerkrankungen und Migräne dem Problem sehr wirksam begegnen können, sind diese sowohl unter Patient:innen als auch unter den Behandelnden oft nicht hinreichend bekannt. So war es laut einer Umfrage unter amerikanischen Ärzt:innen, die in der Erstversorgung der Bevölkerung tätig sind, einem Drittel der Befragten nicht bekannt, dass es von der übergeordneten Gesundheitsorganisation geprüfte und empfohlene Richtlinien für die nicht-medikamentöse Behandlung von Kopfschmerzerkrankungen gibt. Auch die Schulungsmaterialien der beratend tätigen „Amerikanischen Kopfschmerzgesellschaft“ für die betreffenden Ärzt:innen zur verhaltensbasierten Herangehensweise an die Behandlung von Kopfschmerzen war vielen nicht bekannt.

Aufklärung ist Trumpf

Der stärkste Trumpf der Vorbeugung ist die Aufklärung. Schafft man es, Behandelnde und Betroffene so zu informieren, dass das ganze Spektrum der verhaltensbasierten Migräne- und Kopfschmerzvorbeugung ausgeschöpft werden kann, ist schon ein großer Schritt getan. Dadurch kann viel Leid – sowohl an Schmerzen als auch Begleiterscheinungen – verhindert werden. Dabei sind solche Maßnahmen viel weniger abhängig von den Mitteln der jeweiligen Gesundheitssysteme oder der wirtschaftlichen Lage der Betroffenen selbst. Daher ist der vorbeugende Ansatz grundsätzlich geeignet, dem weltweiten Problem Kopfschmerz und Migräne umfassend und wirkungsvoll zu begegnen.

  • Quellenangaben
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