Migräne und Diabetes: Gibt es einen Zusammenhang?

Bei Diabetes mellitus sind die Vorgänge rund um die Herstellung und die Wirkung des Hormons Insulin, das den Blutzucker reguliert, gestört. Welche Auswirkungen dies auf die Migräne haben kann und ob es weitere Wechselwirkungen zwischen beiden Erkrankungen geben könnte, wird im Folgenden genauer untersucht.

Unser Gehirn kann nur dann tadellos funktionieren, wenn es gut mit Energie versorgt ist. Der entscheidende Treibstoff für das Gehirn ist Glukose. Weil unser zentrales Nervensystem über keine eigenen Energiespeicher verfügt, muss über die Nahrung regelmäßig neue Glukose bereitgestellt werden. Wenn wir genügend Glukose im Blut haben, dann ist unser sogenannter Blutzuckerspiegel auf der richtigen Höhe und unser Gehirn wird ausreichend mit Energie versorgt, so dass es seine Arbeit einwandfrei verrichten kann.

Für Menschen mit Migräne ist die ausreichende Energieversorgung des Gehirns besonders wichtig: Die medizinische Forschung weiß, dass Glukose-Engpässe Migräneattacken auslösen können. Auch andere Veränderungen im Stoffwechsel, die sich auf den Blutzuckerspiegel auswirken, sind für Migränebetroffene von besonderer Bedeutung.

Bei der sogenannten „Zuckerkrankheit“, medizinisch: Diabetes mellitus, sind die Vorgänge rund um die Herstellung und die Wirkung des Hormons Insulin, das den Blutzucker reguliert, gestört. Neuere Forschungen beschäftigen sich damit, welche Auswirkungen dies auf die Migräne haben kann und ob es weitere Wechselwirkungen zwischen beiden Erkrankungen geben könnte.

Wie die „Zuckerkrankheit“ entsteht: Insulin und der Blutzuckerspiegel

Diabetes kommt in zwei Hauptformen vor. Der sogenannte Typ 1-Diabetes ist nach heutigem Kenntnisstand der Medizin eine sogenannte Autoimmunerkrankung. Dies sind Erkrankungen, bei denen die Immunabwehr eines Menschen aufgrund einer Fehlsteuerung körpereigene Zellen und Gewebe angreift. Im Fall der Zuckerkrankheit richten sich die Attacken gegen die Insulin-produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse. Dadurch werden diese bereits in der Kindheit oder Jugend durch die körpereigene Abwehr zerstört. Dies führt bei Betroffenen schon in frühen Lebensjahren dazu, dass ihr Körper das Hormon Insulin nicht mehr selbst bilden kann. Insulin muss dann durch Gabe von außen zugeführt werden. Dafür müssen Diabetiker:innen den eigenen Blutzuckerspiegel engmaschig, d.h. mehrmals täglich überprüfen.

Der Typ 2-Diabetes hingegen tritt meist im fortgeschrittenen Lebensalter auf. Er wird auch als „Altersdiabetes“ bezeichnet. Typ 2-Diabetes lässt sich vereinfacht mit einer Ermüdung des Steuerungssystems erklären, das für die Regulierung unseres Blutzuckerspiegels zuständig ist. In diesem Fall sprechen die Körperzellen nicht mehr so gut auf das gebildete Insulin an. Dadurch stellt sich eine sogenannte „Insulinresistenz“ ein: Die Antwort auf das Insulin wird schwächer und bleibt schließlich ganz aus. In der Folge wird weniger Glukose in die Muskulatur, die Leber und das Fettgewebe aufgenommen, als es normalerweise der Fall wäre. Weil also mehr Glukose im Blut verbleibt, steigt der Blutzuckerspiegel an.

Diabetes und Migräne: Wie hängen sie zusammen?

Im Rahmen der Forschungen rund um die Rolle der Energieversorgung des Gehirns bei der Entstehung von Migräneattacken sind auch immer wieder Untersuchungen zum Zusammenhang von Diabetes und Migräne angestellt worden.

Eine französische Forscher:innengruppe beispielweise untersuchte zu diesem Zweck über einen Zeitraum von zehn Jahren fast 75.000 Frauen mit und ohne Migräne. Zu Beginn der Erhebung hatte keine der Teilnehmerinnen einen Diabetes. Über den Untersuchungszeitraum hinweg entwickelten knapp 2.400 von ihnen irgendwann eine Zuckerkrankheit vom Typ 2. Dabei fielen zwei Befunde der Untersuchung besonders ins Auge. Erstens: Diejenigen Frauen, die eine nachgewiesene Migräne hatten, trugen ein um etwa 30% verringertes Risiko, im Laufe des Beobachtungszeitraums an Typ 2-Diabetes zu erkranken. Zweite Erkenntnis: In der Zeit kurz vor der Diabetes-Diagnose nahm die Häufigkeit von Migräneattacken ab.

Verhindert Migräne einen Diabetes?

Die Autor:innen der Untersuchung stellen zu diesen Beobachtungen folgende Erklärungsversuche auf: Es ist bekannt, dass es bei Migränebetroffenen Veränderungen (sogenannte Mutationen) in einem bestimmten Gen gibt. Dieser Teil der Erbanlagen ist für die Bildung des Insulin-Rezeptors zuständig, also der Andockstelle für Insulin auf den Körperzellen. Die Mutation verursacht eine verminderte Wirksamkeit des Insulins. In der Folge wird weniger Glukose von den Zellen aufgenommen. Es kommt zu einer Erhöhung des Blutzuckerspiegels. Daraufhin wird im Körper die Herstellung von Insulin erhöht, um die reduzierte Wirkung auszugleichen. Die Forscher:innen vermuten, dass diese Überproduktion von Insulin als Antwort auf dessen eingeschränkte Wirkung die Entwicklung eines Typ 2-Diabetes in dieser Patientinnengruppe verhindert oder zumindest hinauszögern haben könnte. So ließe sich erklären, dass offenbar tatsächlich bei fast einem Drittel der untersuchten Patientinnen über den Beobachtungszeitraum von 10 Jahren hinweg das Auftreten eines Typ 2-Diabetes verhindert wurde. Dieser Umstand bedeutet allerdings nicht automatisch, dass alle von der Genveränderung Betroffenen lebenslang von Diabetes verschont bleiben.

Schützt Diabetes vor Migräne?

Ein zweiter Effekt ist, dass die verminderte Hormonwirkung zumindest für einen gewissen Zeitraum zu einer leichten Erhöhung des Blutzuckerspiegels führt. Hierdurch kommen Zeiträume mit einer Unterzuckerung und damit einer Mangelversorgung des Gehirns mit Glukose wesentlich seltener vor. Genau diese Momente des Zuckermangels sind bei Migränepatient:innen gefürchtet, denn sie gehören zu den stärksten Auslösern (den sogenannten „Triggern“) von Migräneattacken. Der auf indirektem Weg erhöhte oder zumindest im oberen Normbereich liegende Glukosespiegel im Blut bietet also offenbar einen gewissen Schutz, weil die Unterzuckerung verhindert und ein gefährlicher Trigger vermieden wird.

Bei denjenigen Migränebetroffenen, die trotz des geringeren Risikos im Laufe der Studie einen Typ 2-Diabetes entwickelten, konnten die Forschenden in der Zeit kurz vor dem Beginn ihrer Zuckerkrankheit eine auffällige Abnahme der Häufigkeit von Migräneattacken beobachten. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass ab einem bestimmten Punkt während der Entstehung eines Typ 2-Diabetes die geringere Wirkung des Insulins nicht mehr in ausreichendem Umfang ausgeglichen wird. Daraufhin steigt der Blutzuckerspiegel. Weil sich hierdurch nun gleichzeitig die Glukoseversorgung des Gehirns verbessert, werden ein Glukosemangel und die damit verbundenen Migräneattacken wirksam verhindert.

Der Blutzucker ist entscheidend

Ähnliche Beobachtungen machte man auch in anderen Untersuchungen. Eine norwegische Forschungsgruppe beispielsweise zog die Sache von der anderen Seite auf. Über zehn Jahre hinweg wurden eine Gruppe mit 93.000 Typ 2-Diabetes-Patient:innen und 8.000 Menschen mit Typ 1-Diabetes unter die Lupe genommen. Es zeigte sich, dass beide Gruppen ein nachweislich niedrigeres Risiko hatten, an aktiver Migräne mit Attacken zu erkranken als eine nicht-diabetische Kontrollgruppe. Die Autor:innen stellen die Vermutung auf, das Vorhandensein eines Diabetes könnte eine schützende Wirkung gegenüber Migräne entfaltet haben. Ein weiterer denkbarer Einfluss: Diabetes-Patient:innen sind darauf angewiesen, sehr genau darauf zu achten, ihren Blutzuckerspiegel im Normbereich zu halten. Dies tun sie in der Regel auch sehr gewissenhaft. Hierdurch ist eine konstante Energieversorgung des Gehirns gegeben, und ein großer Migräne-Trigger wird vermieden. Die Befunde aus Norwegen konnten in einer ganzen Reihe weiterer Untersuchungen mit ähnlichen Ergebnissen bestätigt werden.

Stabile Versorgung ist Migräne-Vorbeugung

Die Beobachtungen rund um die Wechselwirkungen zwischen Diabetes und Migräne zeigen, wie entscheidend eine gleichmäßige Versorgung des Gehirns mit Glukose für die Vermeidung von Migräneattacken ist. Das gilt für Patient:innen mit und ohne Diabetes gleichermaßen. Migräne-Betroffene sollten im Alltag stets auf eine durchgängig gute Versorgung des Gehirns mit Energie achten. Regelmäßige Mahlzeiten mit Nahrungsmitteln, die den Blutzucker lange auf einem hohen Niveau halten, sind dafür unverzichtbar. Für Betroffene hat es sich bewährt, bevorzugt sogenannte komplexe Kohlenhydrate (die beispielsweise in Vollkornprodukten enthalten sind) in den Speiseplan einzubauen und nicht zu viel Zeit zwischen den einzelnen Mahlzeiten vergehen zu lassen. Dazu gehört, das Frühstück nie auszulassen und es nicht zu spät nach dem Aufstehen zu sich zu nehmen. Es hat sich überdies gezeigt, dass sich bei einigen Betroffenen frühmorgendliche Attacken wirksam vermeiden lassen, wenn sie am Abend zuvor noch eine leichte Mahlzeit mit solchen Kohlenhydraten zu sich nehmen. Weil das Gehirn auch im Schlaf arbeitet, ist es wichtig, dass es genügend Energie hat und die Vorräte morgens schnell wieder aufgefüllt werden.

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