Entspannung – wichtiger Bestandteil bei der Vorbeugung von Kopfschmerzen

„In einem entspannten Körper kann kein ängstlicher Geist existieren“
Edmund Jacobson, Arzt und Psychologe

Die ganzheitlich angelegte Behandlung von Migräne und anderen Kopfschmerzarten verfügt inzwischen über etliche Methoden und geht weit über den bloßen Einsatz von Medikamenten hinaus. Dabei werden verhaltensmedizinische Behandlungsansätze mit einbezogen, die inzwischen unverzichtbare, leistungsfähige Bestandteile geworden sind. Mittlerweile gibt es eingehende Untersuchungen über ihre Wirkungsweise, die auch wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Damit lässt sich belegen, dass solche Methoden zurecht an Bedeutung gewinnen. Sie werden als nicht-medikamentöse Behandlungsmöglichkeit von immer mehr Patient*innen angenommen.

Ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet der Schmerzvorbeugung und -behandlung, der Gründer und Leiter der Schmerzklinik Kiel, Prof. Dr. Hartmut Göbel, sagt: „Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen die Wirksamkeit von speziellen Entspannungsverfahren, wie z.B. der Progressiven Muskelentspannung, insbesondere in der Vorbeugung von Kopfschmerzen, Migräne, Rückenschmerzen, Fibromyalgie, Nervenschmerzen, Stressreaktionen und anderen Erkrankungen.“

Vielseitig einsetzbar: Die PMR

Eine wichtige und besonders häufig angewandte Technik ist die Progressive Muskelentspannung (PMR, englisch: progressive muscle relaxation) nach Jacobson. Bei der PMR handelt es sich um eine leicht erlernbare Entspannungsmethode, bei der durch die bewusste An- und Entspannung bestimmter Muskelgruppen der Zustand tiefer Entspannung des gesamten Körpers erreicht werden soll. Der Übende soll sich aktiv auf die Anspannung und die Entspannung, die er selbst herstellt, konzentrieren und dabei die Unterschiede zwischen diesen beiden Zuständen bewusst wahrnehmen. Dadurch kann man auf vorhandene Anspannung positiv einwirken. Die Übungen zielen darauf ab, mithilfe einer verbesserten Körperwahrnehmung eine Verminderung der Muskelspannung herbeizuführen.

Darüber hinaus können auf diesem Wege auch weitere Anzeichen körperlicher Unruhe gelöst werden. Muskelverspannungen lassen sich mithilfe der PMR lösen. Damit werden auch Schmerzzustände wie Migräne oder Kopfschmerz gelindert. Die PMR gilt generell als wirksame Methode des Spannungsabbaus und kann auch über die Schmerzbehandlung hinaus beachtliche Erfolge vorweisen. Dies ist beispielsweise bei der Behandlung von Schlafstörungen, Angst- und Stresszuständen oder bei Bluthochdruck erwiesen.

Entwicklung der Muskelentspannung

Die Progressive Muskelentspannung wurde in den 1920er Jahren von Edmund Jacobson, einem 1888 in Chicago geborenen Arzt und Psychologen, entwickelt.

Ursprünglich waren in diese Übungen nicht weniger als 16 Muskelgruppen einbezogen. Diese zunächst recht umfangreiche Technik wurde später von anderen Wissenschaftler:innen mit Blick auf die praktische Anwendbarkeit abgeändert. Eine zehnminütige Version, die sich in der Praxis als sehr wirksam erwiesen hat und leicht in den Alltag einzubauen ist, findet sich zum Beispiel in der Kopfschmerzwissen-App und hier auf der Homepage.

Wissenschaftlich belegter Nutzen

In einer Übersichtsarbeit, die Untersuchungen über einen Zeitraum von fast zwanzig Jahren zusammenfasst, ließ sich die positive Wirkung von Entspannungstechniken für eine ganze Reihe von Erkrankungen nachweisen. Dabei erwies sich die PMR bei Bluthochdruck, Kopfschmerzen und Schlafstörungen als besonders wirksam. Darüber hinaus wurde über eine Linderung bei chronischen Schmerzen und Angstzuständen berichtet.

Arbeitsbedingter Stress ist gerade in Pflegeberufen ein Dauerthema. Ständige Anspannung und häufige Überlastung führten bei den Beschäftigten schon immer zu einer besonders hohen Kopfschmerz-Belastung. Die COVID-19-Pandemie hat die Situation nochmals deutlich verschlimmert. Gleichwohl konnte in Untersuchungen gezeigt werden, dass Entspannungstechniken gerade in dieser Zeit in der Lage sind, eine spürbare Verringerung des Stressempfindens herbeizuführen, das bekanntermaßen einer der stärksten Auslöser von Spannungskopfschmerz und Migräne ist.

In einer neueren Arbeit wurde die PMR als wirksame Methode dargestellt. Hierin wird ebenfalls betont, dass Entspannungstechniken gerade bei Pflegenden erfolgreich eingesetzt werden können. Gute Erfahrungen mit einem kombinierten Unterstützungsprogramm aus Entspannungs- und Bewegungsübungen werden aus einer Erhebung in einer Pariser Klinik berichtet. Die Autor:innen empfehlen, die Anwendung solcher Programme auf weitere Berufsgruppen auszuweiten.

Die echte „win-win“-Situation

Eine solche stellte laut der Untersuchung einer Wissenschaftler:innengruppe aus Basel und Zürich der Einsatz von Entspannungsprogrammen gegen stressbedingte Kopfschmerzen in Betrieben von schweizerischen Pharmaunternehmen dar. Im untersuchten Fall führte ein sechsmonatiges Programm aus PMR und weiteren Maßnahmen zur Verminderung der krankheitsbedingten Fehlzeiten um sage und schreibe 11 Tage. Dieses überzeugende Resultat ist nur ein Beispiel unter vielen, das zeigt, wie im Wortsinn „gewinnbringend“ der Einsatz von Entspannungstechniken im Rahmen der Kopfschmerz-Vorbeugung für alle Beteiligten ist.

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