„Wann kommt die nächste Attacke?“ Über Attacken-Angst bei Migräne

Für Menschen mit Migräne geht das Leid oft über den Kopfschmerz hinaus. Viele Betroffene haben schon unmittelbar nach einem Migräne-Kopfschmerz wieder Angst vor der nächsten Attacke. Das hat mitunter schwerwiegende Folgen – denn die Angst vor der Migräne kann das Entstehen folgender Attacken begünstigen und auch weitere Erkrankungen mit sich bringen.

Attacken-Angst: Was ist das eigentlich?

Bereits Ende der 1980er Jahre erschien in der amerikanischen Fachzeitschrift „Psychosomatic Medicine“ ein Artikel über diese Angst-Erscheinung bei Migränebetroffenen. Wissenschaftler:innen der renommierten Johns-Hopkins-Universität im US-amerikanischen Baltimore hatten 10.000 Menschen mithilfe eines zuverlässigen, vereinheitlichten Fragenkatalogs des „National Institute of Mental Health“ (Nationales Institut für seelische Gesundheit) zu verschiedenen Gesichtspunkte ihres Wohlbefindens befragt, darunter auch das Auftreten von Angst- oder Panikattacken. War dies der Fall, wurde zusätzlich die Kopfschmerzbelastung der Betroffenen erhoben, um herauszufinden, ob es hier gegenüber Nicht-Betroffenen nachweisbare Unterschiede gibt. Tatsächlich berichteten die von Angst- und Panikattacken betroffenen Teilnehmer:innen von ungewöhnlich vielen und besonders langanhaltenden Kopfschmerzen im untersuchten Zeitraum, darunter auch  migränetypische Kopfschmerz-Attacken. Unter den männlichen Probanden mit Panikattacken berichteten siebenmal mehr Personen von Migränekopfschmerzen in der Woche zuvor als in der „angstfreien“ Vergleichsgruppe. Andere wissenschaftliche Erhebungen kommen zu dem Ergebnis, dass für Migränebetroffene die Wahrscheinlichkeit, echte Panikattacken zu entwickeln, bis zu viermal höher ist als für Menschen ohne diese Kopfschmerzart. Die Gefahr scheint also messbar erhöht zu sein.

Angst und Migräne: ein wechselseitiges Verhältnis

Über die vergangenen Jahrzehnte konnte in vielen Erhebungen nachvollziehbar gemacht werden, dass das Verhältnis zwischen Ängsten und Migräne ein wechselseitiges ist. Das bedeutet, dass das Vorhandensein der einen Erkrankung die Gefahr für die jeweils andere erheblich erhöht. Seit den 1990er-Jahren wurden vermehrt Erklärungsansätze für diese Wechselwirkung entwickelt, und je nach Forschungsströmung wurden die Ursachen z.B. in Erbfaktoren, Botenstoffen im Nervensystem, hormonellen Schwankungen oder auch in der sogenannte „Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse“ (HPA-Achse, engl.: „hypothalamic–pituitary–adrenal axis“) gesucht. Letztere beschreibt einen komplizierten, vor allem durch Botenstoffe vermittelten Regelkreis zwischen den Hirnarealen Hypothalamus und Hypophyse und der Nebennierenrinde. Er wirkt auf viele Körperfunktionen, darunter auch die sogenannte Stressreaktion. Diese spielt bekanntermaßen bei Migräne eine bedeutende Rolle. Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse wird entsprechend auch als „Stressachse“ bezeichnet.

Für Migräne-Patient:innen können die Zeiten zwischen den Attacken genauso belastend sein wie die Attacken selbst. In einer breit angelegten Untersuchung an Patient:innen gab mehr als die Hälfte der Teilnehmenden an, die Angst vor dem nächsten Kopfschmerz sei einer der Umstände, die das Leben mit Migräne mit am stärksten beeinträchtigen. Der ständige Wechsel zwischen Angstzeiten und Migräne-Attacken mündet häufig in beinahe dauerhafte Gefühlsanspannung und seelischen Stress. Dieser Ausnahmezustand bildet einen Nährboden für zahlreiche seelische Begleiterkrankungen.

Migräne kommt selten allein

Im Zuge der verstärkten Forschungsanstrengungen wurde immer deutlicher, dass man die Migräne nicht als isolierte Erkrankung betrachten darf. Seelische Ausnahmezustände wie Angststörungen, Panikattacken, Schlafprobleme und Erkrankungen des depressiven Formenkreises sind typische Begleiterkrankungen (siehe dazu diesen Artikel). Besonders hoch ist die Gefahr bei Patient:innen, deren Migräne von einer Aura begleitet ist.

Eine neuere Arbeit von 2025 beleuchtet, wie sehr sich die Begleiterkrankungen der Migräne auf das gesamte Leben der Betroffenen auswirken. Die tatsächliche wie auch die persönlich empfundene Fähigkeit, den Anforderungen des Berufslebens Genüge zu tun oder die Freizeit sinnvoll zu gestalten, nehmen ab, die allgemeine Lebensqualität wird deutlich gemindert.

Schlafstörungen sind eine besondere Belastung für die Betroffenen. Eine japanische Forscher:innengruppe untersuchte Migränepatient:innen auf unterschiedliche Formen wie Schlaflosigkeit, Schlafapnoe (das kurzzeitige Aussetzen der Atmung im Schlaf) oder auch das nicht-Erreichen des Tiefschlafes, der besonders wichtig für einen erholsamen Schlaf ist. Ein großer Anteil der Teilnehmenden (87%) berichtete, von mindestens einer der genannten Störungen betroffen zu sein. Die Auswirkungen der Schlafstörungen ließen sich schließlich in allgemein anerkannten Tests wie dem sogenannten MIDAS nachweisen (zu Bedeutung und Aussagekraft des MIDAS siehe hier).

All das zeigt, dass sich mit einer Migräneerkrankung für viele Betroffenen eine Krankheitslast ergibt, die weit über das hinausgeht, was man gemeinhin als Auswirkungen einer Kopfschmerzerkrankung ansieht.

Eine verhängnisvolle Bewältigungsstrategie: Medikamenten-Übergebrauch

Wie reagieren nun Betroffene auf diese vielfältigen Belastungen? Eine italienische Forschergruppe von der Universität Bologna hat zeigen können, dass die „krankheitsbezogene Angst“ bei der Migräne, das heißt die ständige Furcht vor der nächsten Attacke, nicht selten dazu führt, dass Migränepatient:innen versuchen, durch eine vorbeugende Einnahme von Schmerzmitteln das Entstehen von Folge-Attacken zu verhindern. Dies kann schwerwiegende Folgen haben, denn ein Übergebrauch von Schmerzmitteln kann selbst zu einem besonders starken und schwer zu behandelnden Kopfschmerz führen (dem sogenannten „Medikamentenübergebrauchskopfschmerz“, siehe dazu hier). Die italienische Untersuchung konnte einen direkten Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Attacken-Angst und dem Umfang der Medikamenteneinnahme nachweisen. Dies zeigt, dass es hier einen großen Bedarf an Aufklärung über geeignete Vorbeugungsmaßnahmen gibt.

Wie man der Angst begegnen kann

Forschung und medizinische Praxis haben über die lange Zeit ihrer Beschäftigung mit dem vielschichtigen Krankheitsbild der Migräne auch sogenannte nicht-pharmakologische Behandlungsstrategien erarbeitet. Diese zielen darauf ab, der Entstehung von Attacken ohne den Einsatz von Medikamenten vorzubeugen. Für einige dieser Methoden konnte die Wirksamkeit durch unabhängige Untersuchungen weiderholt belegt werden. Sie werden schon seit längerem mit messbarem Erfolg in der Migräne-Behandlung eingesetzt.

Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Verminderung von Stress. Ein erhöhtes Stress-Empfinden ist ein möglicher Auslöser von Migräne-Attacken. Andauernder Stress führt zu einer generell erhöhten Anfälligkeit für Kopfschmerz. Besondere Stress-Spitzen körperlicher oder seelischer Art können unmittelbar zu Migräne-Attacken führen.

Wirksame Methoden ohne Medikamente

Die sogenannte „Kognitive Verhaltenstherapie“ (CBT, engl.: „Cognitive Behavioral Therapy“) ist eine besondere Behandlungsform, bei der negative, auf die eigene Migräneerkrankung bezogene Gedanken und Verhaltensweisen erkannt und hinterfragt werden. Durch die Veränderung von Denk- und Handlungsmustern lernen die Betroffenen, bessere Bewältigungsmöglichkeiten zu entwickeln und ihre Wahrnehmung von Schmerzen zu verändern. Eingehende Erhebungen dazu zeigen, dass die CBT bei Migräne dazu beiträgt, die Häufigkeit und Schwere der Attacken erheblich zu reduzieren.

Eine andere Methode ist die sogenannte „Progressive Muskelentspannung nach Jacobson“ (PMR, engl.: „Progressive Muscle Relaxation“). Auch die PMR hat sich in der Praxis als wirksame Technik zur Vorbeugung der Migräne bewährt. Betroffene konzentrieren sich bewusst darauf, unterschiedliche Muskelgruppen des eigenen Körpers anzuspannen und dann wieder zu entspannen. Die dadurch herbeigeführte Verringerung der allgemeinen Muskelspannung (und damit der Gesamtanspannung des Menschen) kann zu einer Linderung der Migräneschmerzen, aber auch zur Vorbeugung von Attacken führen. (Eine Anleitung zur PMR findet sich hier oder auch in der App).

Durch die beharrliche Anwendung dieser in ihrer Wirksamkeit nachgewiesenen Vorbeuge- und Behandlungsmaßnahmen können Migräne-Betroffene ein Stück Kontrolle über das persönliche Krankheitsgeschehen (zurück-)gewinnen. Das Gefühl der eigenen Ohnmacht gegenüber der Erkrankung und die damit verbundene ständige Angst vor der nächsten Attacke können deutlich vermindert werden. Das wiederum trägt dazu bei, dass die außerordentliche Krankheitslast der Migräne merklich abgemildert wird.

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