Migräne bei Männern: Unterschätzt und oft verschwiegen

Migräne wird oft als ‚Frauenkrankheit‘ wahrgenommen. Tatsächlich sind Frauen häufiger von Migräne betroffen als Männer. Dass auch Männer Migräne bekommen und ihnen dadurch ein erheblicher Leidensdruck entstehen kann, ist allgemein weniger bekannt. Was sagt die Forschung zur ‚Männer-Migräne‘? Sieht Migräne bei Männern anders aus, und wenn ja, woran könnte das liegen?

Die ‚Betroffenheits-Schere‘ zwischen Frauen und Männern

Alle statistischen Erhebungen zur Migränebelastung des Menschen zeigen, dass Frauen häufiger von Migräne betroffen sind als Männer. Wissenschaftliche Erhebungen konnten zeigen, dass mit dem Eintritt in die Pubertät sich die Zahl der Migränekranken zwischen den Geschlechtern verschiebt, und zwar auf die Seite der weiblichen Betroffenen. Ab dem Zeitpunkt, an dem hormonelle Einflüsse auf den Organismus stärker werden, nehmen auch die Migräne-Fallzahlen der Mädchen gegenüber den Jungen deutlich zu. Der Höhepunkt des Auseinander-Driftens von männlichen und weiblichen Patienten in Bezug auf die Erkrankungshäufigkeit liegt im Altersbereich von etwa 30 Jahren.

Sieht Migräne bei Männern anders aus?

Was einschlägige Untersuchungen außerdem zeigen konnten, ist, dass neben der Häufigkeit auch das medizinische Erscheinungsbild der Erkrankung zwischen Mann und Frau verschieden ist. Demnach unterscheiden sich unter anderem die Attackenhäufigkeit und -dauer sowie die Schwere des wahrgenommenen Schmerzes. Auch sind die allgemeine Belastung durch die Migräne sowie die gesundheitlichen Begleiterscheinungen nicht gleich. Die Wirksamkeit von Medikamenten gegen die Migränemedikamentöser Behandlungen kann sich bei Frauen und Männern ebenfalls unterscheiden.

Die Ursachen für all diese Unterschiede sind bis heute kaum verstanden. Neben den bekannten hormonellen Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern spielen sehr wahrscheinlich auch andere Umstände eine Rolle. Die Forschung geht inzwischen sogar davon aus, dass bei männlichen und weiblichen Patienten grundlegend verschiedene Entstehungswege der Migräne vorliegen könnten. Zur besonderen Migränebelastung von Frauen gibt es deutlich mehr wissenschaftliche Untersuchungen – besonders was die Entstehung der Erkrankung, ihre Auswirkungen und die daraus hervorgehenden Belastungen angeht. Das führt dazu, dass es neben der ‚Betroffenheits-Schere‘ bis heute auch eine ‚Erkenntnis-Schere‘ zwischen der Frauen- und der Männer-Migräne gibt. Mit dem Aufkommen der sogenannten „personalisierten“ Medizin beginnt sich jedoch diesbezüglich eine Angleichung der Forschungstätigkeit abzuzeichnen. Dies gilt umso mehr, als die Unterschiede zwischen den Geschlechtern insgesamt an Bedeutung gewinnen und auf vielen Feldern der medizinischen Forschung zunehmend Berücksichtigung finden.

Haben Männer seltener Migräne als Frauen?

Was die Unterschiede in der Attacken-Häufigkeit zwischen den Geschlechtern angeht, sind die Angaben in den wissenschaftlichen Veröffentlichungen nicht einheitlich. Eine Erhebung aus Korea etwa fand bei der Häufigkeit von Attacken keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Auch in einer niederländischen Arbeit zeigten sich bei der Ermittlung der monatlichen Migränetage bis zu einem Alter von 50 Jahren ungefähr gleiche Zahlen. Zu anderen Resultaten gelangt eine dänische Untersuchung. Hier war sowohl die Häufigkeit von Migränekopfschmerz als auch die Stärke der Schmerzen bei Frauen höher. Zudem fielen bei weiblichen Patienten die Beschwerden im Zusammenhang mit einer Aura stärker aus als bei männlichen. Die gefühlte Krankheitslast wurde bei Patientinnen mit Aura als besonders hoch ausgemacht.

Was die Stärke der Schmerzen während einer Migräne-Attacke angeht, kommt die Forschung in der Mehrzahl der vorliegenden Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass diese von Frauen allgemein als weit stärker beschrieben wird als von Männern. Die Stärke und Dauer eines Schmerzes, die als gerade noch erträglich empfunden wird (die sogenannte „Schmerztoleranz“) scheint bei männlichen Patienten etwas höher zu sein. Das Gleiche gilt für den Punkt, von dem an ein Schmerz überhaupt als solcher wahrgenommen wird, also die Schmerzschwelle. Diese Umstände könnten die unterschiedlich stark empfundenen Schmerzen erklären.

Vergleichbarkeit als Herausforderung: ein häufiges Problem von Migräne-Erhebungen

Manche Widersprüche bei den Ergebnissen der Wissenschaft beruhen möglicherweise auf den teilweise recht unterschiedlichen Untersuchungsmethoden (Interview, Fragebogen, Online-Befragung, Apps). Auch lässt sich der Anteil der hormonell bedingten Kopfschmerzattacken trotz raffinierter Techniken nicht immer vollständig aus den Statistiken herausrechnen.

Ungeachtet dieser Herausforderungen fand man einige weitere, gut nachweisbare Unterschiede zwischen den Geschlechtern. So zeigte sich zum Beispiel, dass Männer deutlich weniger oft mit Schwindel, Übelkeit und Erbrechen zu tun hatten als Frauen. Auch machte ihnen die erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Lärm und Gerüchen (wissenschaftlich als „Phonophobie“ und  „Osmophobie“ bezeichnet) weniger stark und weniger oft zu schaffen.

Dennoch muss man davon ausgehen, dass die Belastung durch Migräne auch bei Männern ein erhebliches Maß erreicht. Sie sollte als Gesundheitsproblem ernst genommen werden. Dies gilt  nicht zuletzt für die Betroffenen selbst, wie wir später noch sehen werden.

Gibt es männertypische Begleiterkrankungen der Migräne-Erkrankung?

Gerade bei der Migräne zeigen sich häufig Begleiterkrankungen (sogenannte „Ko-Morbiditäten“), was die Belastung der Patient:innen weiter erhöht. Bekannt sind einerseits körperliche Krankheitsanzeichen, wie sie sich etwa im Herz-Kreislauf-System, in Form von Asthma oder auch mit Allergien bemerkbar machen. Andererseits findet man auch seelische Erkrankungen mit der Migräne verbunden – häufig solche, die dem sogenannten „depressiven Formenkreis“ zuzuordnen sind oder Angststörungen. Das sogenannte „Chronische Müdigkeits-Syndrom“ (chronic fatigue syndrome) gehört ebenfalls zu den Erkrankungsbildern, von denen die Migräne bisweilen begleitet wird.

Über die Begleiterkrankungen bei männlichen Migränepatienten findet man im Vergleich zu Arbeiten über weibliche Patienten eine eher spärliche Anzahl von Veröffentlichungen. Was sich abzuzeichnen scheint: Männer werden nicht ganz so oft von einer begleitenden Erkrankung heimgesucht wie Frauen. Wenn es aber dennoch passiert, handelt es sich meist um andere Krankheiten als bei Frauen. So treten bei Männern beispielsweise gehäuft Verengungen der Herzkranzgefäße und weitere Herz-Kreislauf-Beschwerden auf. Diese Patientengruppe trägt außerdem ein erhöhtes Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. Hier scheint das Vorhandensein einer Aura die Gefahr noch zu erhöhen. Bei männlichen Betroffenen werden zudem öfter Nierensteine gefunden.

Betrachtet man die Begleiterkrankungen im Geschlechtervergleich, dann wird deutlich: Männer mit Migräne haben eher mit körperlichen Belastungen zu kämpfen, während betroffene Frauen häufiger von seelischen Erkrankungen heimgesucht werden. Auch seelische Belastungen, die sich in Form körperlicher Beschwerden niederschlagen (sogenannte „psychosomatische“ Krankheitsbilder), werden bei Frauen öfter festgestellt. Diese offensichtliche Ungleichverteilung birgt allerdings nach Ansicht von Wissenschaftler:innen die Gefahr, dass seelische Krankheiten bei Männern leichter übersehen werden.

Gibt es männertypische Auslöser von Migräne-Attacken?

Für eine Reihe von Migräne-Auslösern (sogenannte „Trigger“) ist bekannt, dass sie beide Geschlechter gleichermaßen betreffen: Stress, Fasten und Schlafmangel gehören dazu. Insgesamt scheint es bei Männern weniger Trigger zu geben als bei Frauen – oder es wurden bisher weniger beschrieben. Allerdings hat man auch Auslöser gefunden, die besonders bei männlichen Migränepatienten mit einer gewissen Zuverlässigkeit eine Attacke herbeiführen oder begünstigen können. Neben alkoholischen Getränken und starker körperlicher Anstrengung wird hier auch ein Übermaß an Schlaf genannt – also das Gegenteil von Schlafmangel, der als Trigger für beide Geschlechter bekannt ist. Im Ganzen betrachtet scheint die Bedeutung spezieller Auslöser von Migräneattacken bei Männern in einer ähnlichen Größenordnung zu liegen wie bei Frauen nach der Menopause.

Migräne bei Männern: unterschätzt, verschwiegen, unentdeckt

Das Risiko, an einer Migräne zu erkranken, ist bei Männern zwar deutlich niedriger als bei Frauen, aber es liegt keineswegs bei null. Dennoch wird die Diagnose bei ihnen nur selten gestellt. Die ‚Frauenkrankheit‘ Migräne wird sowohl von den möglicherweise betroffenen Männern als auch von den behandelnden Ärztinnen und Ärzten fast völlig ausgeblendet. Dazu gesellt sich das Problem, dass männliche Patienten allgemein seltener ärztlichen Rat suchen als Frauen – selbst bei hartnäckigen Beschwerden. Mit einer Migräneerkrankung ist außerdem bis heute oft ein gesellschaftliches ‘Schandmal‘ verbunden. Man ist schnell bei der Hand mit der Zuschreibung von Eigenschaften wie ‚Wehleidigkeit‘, ‚Leistungsunfähigkeit‘ oder gar ‚Leistungsverweigerung‘. (Mehr zu Vorurteilen gegenüber Migränebetroffenen findet sich in diesem Artikel.) Durch solche Denkweisen sehen sich männliche Betroffene in ihrer Männlichkeit infrage gestellt. Deshalb tun sie sich schwer damit, selbst eine deutlich spürbare Erkrankung sich selbst und anderen gegenüber einzugestehen.

 

Diese Umstände erschweren es männlichen Migränepatienten erheblich, ihren Leidensdruck ernst zu nehmen, die korrekte Diagnose zu erhalten und etwas gegen ihre Erkrankung zu unternehmen. Hier ist dringend Aufklärung nötig. Das Verständnis der Betroffenen für sich selbst und die wertfreie Annahme in der Gesellschaft sind zu verbessern. So würden auch die sichere Krankheitserkennung und eine wirksame Behandlung möglichst vieler Patienten ermöglicht.

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