Kopfschmerz-Mythen Teil 2

Mythen über Kopfschmerzen gibt es mehr als genug. Im April 2024 sind wir an dieser Stelle bereits einigen davon auf den Grund gegangen und haben ihnen mithilfe der verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse auf den Zahn gefühlt. Doch konnten wir im ersten Beitrag bei weitem nicht alles berücksichtigen, was an Sagenhaftem unterwegs ist. Daher kommt hier Teil 2 unserer Reihe über ‚wahr oder falsch‘ rund um das Thema Kopfschmerz und Migräne.

Mythos Nr. 4: Der (hektische) Lebensrhythmus verursacht Kopfschmerz

– Ja, möglich bis wahrscheinlich

Am Wochenende gehen die Uhren anders, die Tagesabläufe ändern sich spürbar. Das kann ein Grund sein, warum sich bei manchen Menschen dann drei Tage später eine Migräneattacke einstellt. Bei Migränebetroffenen kann alles, was den geregelten, einheitlichen Tagesablauf stört, als potenzieller Auslöser wirken. Daher ist es wichtig, beispielsweise den Schlafrhythmus und die Essenszeiten auch am Wochenende beizubehalten, um ein Gleichmaß in den Ruhezeiten und bei der Energieversorgung des Gehirns zu gewährleisten.

Stress erzeugt Kopfschmerz

Jeder erlebt Stress anders. Auch sind die Toleranzschwellen für Stressempfinden von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Schon der Begriff erscheint sehr dehnbar. Seine Bedeutung hängt von zahlreichen inneren wie äußeren Gegebenheiten ab. Aber völlig unempfindlich ist vermutlich niemand gegenüber dieser Erscheinung.

Eines allerdings scheint bei allen, die Stress erleben, ähnlich: Er wirkt sich auf das seelische und körperliche Wohlbefinden aus. Eine Folgeerscheinung, die erwiesenermaßen mit Stress in Verbindung steht, ist der Kopfschmerz. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellt er eine der am stärksten behindernden Erkrankungen dar. Eine übermäßige Belastung durch Stress kann sowohl für Migräneattacken als auch für den sogenannten Spannungskopfschmerz verantwortlich sein.

Als besonders wirksames Mittel, um Stress entgegenzuwirken, hat sich die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson bewährt. Sie hilft nachweislich, das Stressempfinden zu mindern und sowohl Spannungskopfschmerz als auch Migräneattacken vorzubeugen. Daher haben wir dieser Maßnahme eigene Beiträge gewidmet, die hier und hier zu finden sind. Praktisch ist, dass es inzwischen Entspannungsübungen gibt, die sich mit etwa acht bis zehn Minuten Dauer sogar in kurze Arbeitspausen einbauen lassen. Das vertreibt den Stress und beugt Kopfschmerzen vor.

Mythos Nr. 5: Smartphones und Computermonitore verursachen Kopfschmerz

– Kann stimmen

Die Erscheinungen, die mit Begriffen wie ‚Handy-Kopfschmerz‘ oder ‚Smartphone-Kopfschmerz‘ beschrieben werden, sind in der Regel keine sogenannten primären Kopfschmerzen. Primär heißen sie deshalb, weil sie als Krankheitsbild völlig alleinstehend sind und nicht auf andere Erkrankungen oder Beschwerden zurückgeführt werden können.

Genau das ist aber oft der Fall, wenn von Handy-Kopfschmerz die Rede ist. Dabei handelt es sich nämlich um einen Schmerz, der durch langanhaltende Überlastung der Muskulatur oder anderer Bereiche von Rücken, Hals und Nacken entsteht. Man muss also genau genommen von einem muskulären bzw. orthopädischen Problem ausgehen, das sich auf den ganzen Kopfbereich ausdehnt.

Es handelt sich dabei um eine Überlastung der Wirbelsäule sowie der angrenzenden Muskulatur. Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU) spricht in diesem Zusammenhang von einem neuartigen Krankheitsbild, das mit dem Begriff ‚Handynacken‘ umschrieben wird.

Kann man dem Handynacken vorbeugen?

Ja! Eine Muskulatur, die regelmäßig trainiert wird, ist weniger anfällig für Verspannung und Überlastung. Bewegung und sportliche Betätigung sind wichtige Beiträge zur Vorbeugung. Am besten baut man sie fest in die Freizeit und den Arbeits- oder Studienalltag ein.

Viele Lockerungsübungen lassen sich auch am Arbeitsplatz oder am Schreibtisch im Rahmen einer kleinen Pause durchführen. Dazu kurz aufstehen, Kopf und Schultern bewegen, ein paar Schritte durchs Zimmer laufen – der Vielfalt an Bewegungen sind keine Grenzen gesetzt. Je öfter eine starre Haltung unterbrochen wird, desto besser ist der Schutz vor Verspannung. Und noch ein Tipp: Mobile Geräte und Monitore näher vors Gesicht bringen und lieber die Augen senken als Kopf und Nacken. Das vermeidet Verspannungen und beugt Nacken- sowie Kopfschmerzen effektiv vor.

Eine besondere Form: Digitaler Stress

Immer und überall erreichbar zu sein, löst ebenfalls Stress aus. Zu den bekannten Stressformen kommt eine neue Art: digitaler Stress. Durch unsere dauernde Aufmerksamkeit geraten wir in einen ständigen ‚Aufnahme-Modus‘. Unzählige Informationen strömen auf uns ein und wollen verarbeitet werden. Spätestens wenn der innere Speicher überlastet, kommt es zum Zusammenbruch der Energieversorgung des Gehirns. Sowohl Kopfschmerz vom Spannungstyp als auch Migräneattacken können die Folge sein.

Kopfschmerzgefahr geht auch vom Computermonitor aus. Die Augen werden strapaziert, wenn sie unablässig darauf gerichtet sind. Was wir normalerweise nicht wahrnehmen: Die feine Muskulatur, die dafür verantwortlich ist, dass wir jederzeit ein scharfes Bild sehen, wird durch das dauernde Scharfstellen sehr stark beansprucht. Auch der Sehnerv wird besonderen Herausforderungen ausgesetzt. Bei manchen Menschen lösen diese Dauerbelastungen irgendwann Spannungskopfschmerz aus und können bei entsprechend veranlagten Patient:innen auch zur Entstehung von Migräneattacken beitragen.

Was also tun? Öfter mal abschalten!

So einfach es klingt: Wir erholen uns nicht, wenn wir beispielsweise in der Pause von der Computerarbeit unser Smartphone benutzen. Denn beide Tätigkeiten beschäftigen die gleichen Hirnareale, das heißt wir arbeiten weiter, nur an einem anderen Gerät. Daher raten Expert:innen: Schon kleine Pausen können hilfreich sein, um wieder fit für die Arbeit zu werden. Voraussetzung ist allerdings, dass man dabei keine starke Konzentration auf andere Dinge verwendet. Das bedeutet auch: Weg mit dem Smartphone, selbst wenn es nur für zehn Minuten ist. Den Blick vom Monitor abwenden und dem Auge die Möglichkeit geben, eine Weile auf ‚unendlich‘ zu stellen und dem ganzen Muskelapparat des Auges einen Moment Erholung zu gönnen.

Am besten kombiniert man das mit etwas Bewegung an der frischen Luft. Es kann schon helfen, kurz um den Block zu laufen oder ein Stück weit in den benachbarten Park. Auch wenn sie nicht lange dauern, reichen solche ‚Ausflüge‘, um den Kopf frei und die Sinnesorgane entspannt zu bekommen.

Eine gesunde Pausenkultur ist ein Schlüssel zur Stressbewältigung. Die Erfahrung zeigt: Dranbleiben lohnt sich. Wer regelmäßig den Arbeitsplatz für einen kurzen Spaziergang oder eine Runde Gymnastik verlässt, kann viel für die persönliche Kopfschmerzprävention tun.

Mythos Nr. 6: Wasser trinken kann helfen

– Stimmt absolut

Von dem britischen Neurologen Joseph N. Blau stammt der Begriff ‚Wassermangel-Kopfschmerz‘. Er konnte zeigen, dass eine mangelhafte Versorgung des Körpers mit Flüssigkeit Kopfschmerzen auslösen kann. Diesen Zustand nannte er ‚Dehydrierung‘, also wörtlich ‚Entwässerung‘. Außerdem beobachtete er, dass sich dadurch ausgelöste Kopfschmerzen bei den Patient:innen durch Flüssigkeitszufuhr beseitigen ließen: Schon bei Aufnahme eines halben Liters Wasser hatten sich die Kopfschmerzen nach durchschnittlich 20 Minuten gelegt.

In einer späteren Erhebung konnte Blau nachweisen, dass Dehydrierung auch als Migräneauslöser eine wichtige Rolle spielt. In einer Untersuchung an 95 Migränebetroffenen gaben 34 (also mehr als ein Drittel) an, für sie sei unzureichendes Trinken ein Migränetrigger. Auch in zahlreichen folgenden Studien kristallisierte sich Dehydrierung als wichtige Ursache für Migräneattacken heraus.

Eine Vermutung von Wissenschaftler:innen, wie es bei Wassermangel im Gehirngewebe zu Kopfschmerz kommen kann, wurde in der Folgezeit herausgearbeitet. Man fand heraus, dass das Wasserdefizit die Venen im Gehirn in Mitleidenschaft zieht. Es kommt dabei zu einer Zugbelastung der venösen Gefäßwände. In der Folge entwickelt sich Kopfschmerz. Die Wiederherstellung des normalen Flüssigkeitsgehalts in den Gefäßen durch ausreichendes Trinken würde demnach den Kopfschmerz verhindern oder beenden.

Einen praktischen Hinweis auf die Bedeutung von ausreichendem Trinken für die Migränevermeidung liefert eine weitere Forschungsarbeit. Untersucht wurden 250 Patient:innen im Alter von 18 bis 45 Jahren, bei denen die gesammelten Daten zum persönlichen Kopfschmerzgeschehen mit der täglichen Trinkmenge in Beziehung gesetzt wurden. Das Resultat: Die Anzahl der Migränetage und die Dauer der Attacken standen in umgekehrtem Verhältnis zur Trinkmenge. Das bedeutet: Je mehr Flüssigkeit die Patient:innen zu sich nahmen, desto weniger Beschwerden hatten sie.

Auch wenn es unterschiedliche Erklärungen zur Entstehung von Spannungskopfschmerz und Migräneattacken durch Wassermangel gibt, zeigt die Forschungslage eindeutig einen Zusammenhang. Eine wichtige Säule der Kopfschmerz- und Migränevorbeugung sollte daher regelmäßiges und ausreichendes Trinken sein. Hier gilt es, schon geringe Unterversorgungen zu vermeiden. (Wie wichtig die Wasserversorgung unseres Körpers ist, haben wir in einem eigenen Beitrag beleuchtet.) Ein Praxis-Tipp, mit dem man auf Nummer sicher gehen kann: Wer sich im Alltag schwertut, regelmäßig ans Trinken zu denken, kann sich durch unsere App ‚Kopfschmerzwissen‘ daran erinnern lassen. Damit ist man auf einem guten Weg, einen wichtigen Auslöser für Kopfschmerz auszuschalten.

 

  • Quellenangaben
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