„Migräne-Diät“? Über Energiemangel im Gehirn und die erstaunliche Wirkung der Bettmahlzeit

Das ‚Migräne-Gehirn‘ ist ein Hochleistungs-Gehirn. Warum ist das so? Das Gehirn eines Menschen mit Migräne nimmt Reize schneller auf und verarbeitet diese auch rascher als das Gehirn eines Nichtbetroffenen. Diese besondere Leistungsfähigkeit ist aber zugleich eine mögliche Schwachstelle. Denn damit das Gehirn eine solche Hochleistung gesund vollbringen kann, braucht es besonders viel Energie. Gerät das Gehirn eines Menschen mit Migräne in einen Energie-Mangelzustand, können Migräne-Attacken entstehen.

Die Energie-Versorgung des Gehirns: entscheidend für die Vermeidung von Migräne-Attacken

Um Migräne-Attacken zu verhindern, ist es von großer Bedeutung, sich um eine gute Energieversorgung des Gehirns zu kümmern. Das bedeutet, dass das Gehirn immer ausreichend Brennstoff in Form des Zuckers Glukose zur Verfügung haben muss, damit es gesund funktionieren kann. Trotz seines enormen Energiebedarfs hat unser Gehirn keine großen Energiespeicher, aus denen es sich bei Versorgungs-Engpässen bedienen könnte. Entscheidend ist also, dass Migräne-Betroffene gut darauf achten, ihr Gehirn über die Nahrung stets ausreichend mit Glukose zu versorgen.

Dafür ist es entscheidend, was man isst und wann man isst. Man soll Nahrungsmittel zu sich nehmen, durch die unser Stoffwechsel dem Gehirn ausreichend Glukose bereitstellen kann. Folgt man diesem Rat und  und isst so regelmäßig, dass diese Versorgung nicht unterbrochen wird, tut man viel dafür, dass Migräne-Attacken gar nicht erst entstehen.

Glukose fürs Gehirn: den Blutzuckerspiegel im Gleichgewicht halten

Wie viel Glukose aktuell in unserem Blut verfügbar – und damit auch für das Gehirn nutzbar – ist, zeigt unser Blutzuckerspiegel an. Die oberste Regel in der Migräne-Prävention, also der Vorbeugung, ist, den Blutzuckerspiegel möglichst dauerhaft auf einem ausreichend hohen Niveau zu halten.

Grundsätzlich gilt die Empfehlung, sogenannte komplexe, vollwertige Kohlenhydrate zu essen. Solche Nährstoffe findet man zum Beispiel in Vollkornbrot, Haferflocken, Gemüse, Hülsenfrüchten (Bohnen, Erbsen, Linsen, Kichererbsen), Vollkornnudeln oder auch -reis. Um diese aufzuschließen, benötigt unser Verdauungssystem länger als beispielsweise bei sogenannten Einfachzuckern. Einfachzucker findet man vor allem in Lebensmitteln, die raffinierten, also hoch verarbeiteten Zucker enthalten. Das sind zum Beispiel Süßigkeiten (Weingummi, Schokoriegel etc.) und zuckerhaltige Getränke, aber auch in Marmelade und Nuss-Nougat-Creme oder süßen Cornflakes kommen Einfachzucker vor. Auch Nahrungsmittel aus sogenannten Auszugsmehlen (oft auch „Weißmehl“ genannt), in denen nicht das volle Getreidekorn verarbeitet ist, enthalten schnell verwertbare Kohlenhydrate, auch wenn dort kein raffinierter Zucker zugesetzt ist. Toast- und Weißbrot oder Kräcker sind Beispiele für solche Produkte. Bei all diesen Lebensmitteln wird Glukose für den Organismus sehr schnell verfügbar. Warum ist das aber ein Problem, wenn das Gehirn doch genau diese Glukose braucht?

Schwankungen im Blutzuckerspiegel können Migräne-Attacken auslösen

Nimmt man Nahrungsmittel zu sich, die viel Einfachzucker enthalten, steigt der Blutzuckerspiegel schnell und stark an. In der Folge wird das Hormon Insulin ins Blut ausgeschüttet. Insulin regt Körperzellen dazu an, Glukose aus dem Blut aufzunehmen. Dadurch sinkt der Blutzuckerspiegel wieder. Dem Gehirn wird nun wieder ein Hungergefühl übermittelt. Das verführt uns dazu, die nächste Portion Einfachzucker zu uns zu nehmen. Ein solches Auf und Ab im Blutzuckerspiegel birgt besonders für Migränebetroffene Gefahren. Denn wenn die Energieversorgung stark schwankt, können leicht Migräne-Attacken entstehen.

Wenn man nach dem Essen auf sein Sättigungsgefühl achtet, dann kann man diese Unterschiede in der Langfristigkeit der Glukoseversorgung unmittelbar an sich selbst beobachten. Isst man zum Beispiel ein Vollkornbrot mit Hummus und Gemüse, bekommt man deutlich später wieder Hunger als nach einem Marmeladentoast. Isst man regelmäßig über den Tag verteilt Mahlzeiten, die nur allmählich zu Glukose verarbeitet werden, stellt sich keine Unterversorgung mit Glukose ein. Ein Heißhunger entsteht gar nicht erst. Wer dennoch gerne manchmal etwas naschen will, sollte das unmittelbar nach einer größeren Mahlzeit tun. Zu diesem Zeitpunkt hat das weniger negativen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel.

Eine Bettmahlzeit gegen den nächtlichen Energiemangel

Viele Migränebetroffene bekommen früh morgens, unmittelbar aus dem Schlaf heraus, ihre Migräne-Attacken. Das ist für viele zunächst schwer zu verstehen. Wenn wir schlafen, so die Vermutung, scheint das Gehirn zu ruhen und kaum Energie zu verbrauchen. Daher sollte es auch nicht in einen Energiemangel geraten können. Tatsächlich ist es aber so, dass unser Gehirn ein echter Nachtarbeiter ist. Einige für die Gesundheit des gesamten Organismus bedeutende Aufgaben werden vom Gehirn nachts erledigt, und dafür benötigt es ausreichend Energie (siehe dazu diesen Artikel). Migränebetroffene müssen daher nicht nur darauf achten, dass sie tagsüber regelmäßig und das Richtige essen. Sie sollten darüber hinaus auch einem nächtlichen Energie-Engpass vorbeugen.

Was vielen Betroffenen gegen morgendliche Attacken hilft, ist eine kleine Bettmahlzeit kurz vor dem Schlafengehen. Diese sollte ausreichend komplexe Kohlenhydrate enthalten, um die Versorgung des Gehirns mit Glukose über die ganze Nacht zu gewährleisten. Gleichzeitig sollte es sich nur um eine Kleinigkeit handeln, so dass die Verdauung den Schlaf nicht unnötig belastet. Für viele ist es eine gute Wahl, zum Beispiel eine Scheibe Vollkornbrot mit Butter und Käse oder ein wenig Honig zu sich zu nehmen.

Regelmäßigkeit im Tagesablauf hilft ungemein

Wichtig ist außerdem, nach dem Aufstehen nicht zu viel Zeit bis zum Frühstück verstreichen zu lassen. Migränebetroffene sollten das Frühstück nie auslassen, damit das Gehirn schon zum Tagesbeginn gut mit Energie versorgt wird. Der Kopfschmerz- und Migräneexperte Prof. Hartmut Göbel, Gründer der Schmerzklinik Kiel, gibt folgenden Tipp: „Der Migräniker macht generell auch fast alles richtig, wenn er das isst, was auf dem Acker wächst, nicht aus der Fabrik kommt und nicht in Plastik verpackt ist. Nach dem Frühstück sollte etwa bis 13 Uhr das Mittagessen folgen. Wer vorher Hunger hat, kann zwischendurch z. B. Nüsse, Studentenfutter, Sonnenblumen-, Pinienkerne knabbern. Sie setzen langsam Kohlenhydrate frei. Das ist ideal fürs Nervensystem.“ (Ein umfangreicherer Artikel zur ‚richtigen‘ Ernährungsweise bei Kopfschmerzen findet sich auch hier.)

Auch Trinken ist wichtig für das gesund funktionierende Gehirn (siehe dazu diesen Artikel). Dabei ist neben der ausreichenden Menge an Flüssigkeit auch die Regelmäßigkeit entscheidend. Schon morgens sollte man genügend trinken und dann über den Tag verteilt regelmäßig daran denken. Zwei Liter sind ein guter Richtwert für die Menge, bei Hitze oder körperlicher Aktivität sollte es unbedingt mehr sein. Reines Wasser ist anderen Getränken vorzuziehen, ungesüßter Tee kann eine gute Abwechslung sein.

Persönliche Vorbeugung: Muster erkennen und den Alltag anpassen

Migränebetroffene können nachhaltig auf das Entstehen von Attacken einwirken. Dabei ist es wichtig, dass sie ihre ganz persönlichen Herausforderungen bei der Gestaltung einer für ihren Kopf gesunden Ernährung erkennen und bewältigen. Oft ist es allerdings nicht leicht nachzuvollziehen, was eigentlich genau zur letzten Attacke geführt hat. Hier kann es hilfreich sein, das eigene Essverhalten im Tagesverlauf über einige Zeit grob aufzuzeichnen. Wer notiert hat, was er wann in den Tagen vor einer Migräne-Attacke gegessen hat und welche Mahlzeiten ausgelassen wurden, kann etwaige Entstehungs-Muster erkennen und sein Essverhalten im Alltag anpassen. Dabei unterstützt einen besonders gut die App. Sie fragt im Tagebuch diese Punkte ab und macht in der Auswertung Zusammenhänge mit dem Auftreten von Migräne-Attacken erkennbar. Außerdem kann man sich über die Erinnerungsfunktion an regelmäßige Mahlzeiten – inklusive der Bettmahlzeit – und auch ans Trinken erinnern lassen. So dürfte der erfolgreichen Umsetzung im Alltag nichts mehr im Wege stehen.

  • Quellenangaben
    • Deitmer J et al. Unser hungriges Gehirn: Welche Rolle spielen Gliazellen bei der Energieversorgung? Neuroforum 2017; 23 (1): 2–12. doi: 10.1515/nf-2016-1102
    • Göbel, Hartmut: Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne. 8. Auflage Berlin/Heidelberg. 2016. doi: 10.1007/978-3-662-50493-2.
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    • Mergenthaler P et al. Sugar for the brain: the role of glucose in physiological and pathological brain function. Trends Neurosci. 2013; 36(10): 587–597. doi.org/10.1016/j.tins.2013.07.001
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    • Informationen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) – dge.de.
    • Interview Prof. Göbel, Schmerzklinik Kiel, zur Bedeutung der Ernährung für die stabile Energieversorgung des Gehirns
    • https://schmerzklinik.de/kann-die-ernaehrung-bei-migraene-eigentlich-auch-zur-therapie-werden abgerufen 1.12.2025