Migräne und Schlaganfälle – gibt es eine Verbindung?

Schlaganfälle sind weltweit die zweithäufigste Todesursache. Ursächlich liegt Schlaganfällen entweder eine Durchblutungsstörung im Gehirn (sogenannter „ischämischer“ Schlaganfall) oder eine Gehirnblutung (sogenannter „hämorrhagischer“ Schlaganfall) zugrunde. Je nachdem, welches Gehirnareal betroffen ist, sind die Krankheitsanzeichen sehr unterschiedlich. Ein Schlaganfall ist aber immer ein medizinischer Notfall und erfordert eine schnellstmögliche Versorgung in einem Krankenhaus.

Seit einiger Zeit lässt sich ein auffälliger Anstieg an Schlaganfällen bei jungen Menschen beobachten. Das gibt der Forschung Rätsel auf. Denn die meisten Schlaganfälle bei den jüngeren Betroffenen lassen sich sehr wahrscheinlich nicht auf die bekannten, als „traditionell“ bezeichneten Risikofaktoren zurückführen, die bei älteren Patient:innen häufig die Ursache sind. Dazu zählen beispielsweise Bluthochdruck, Übergewicht, Rauchen, Typ-2-Diabetes, hohes Blut-Cholesterin oder Erkrankungen der Herzkranzgefäße.

Neue Untersuchungen lenken den Blick auf die Migräne

In der Forschung gerät zunehmend eine neue Gefahrenquelle in den Blick: die Migräne. Dazu hat eine Untersuchung aus dem Frühjahr 2024 einen wesentlichen Beitrag geleistet. An einer Universität im US-amerikanischen Colorado wurde eine wissenschaftliche Erhebung bei mehr als 2.600 Patient:innen durchgeführt, die einen Schlaganfall erlitten hatten. Als Vergleichsgruppe dienten etwa 8.000 Personen ohne Schlaganfall, das Alter der Teilnehmenden lag zwischen 18 und 55 Jahren. Hintergrund der Betrachtung waren Langzeitbeobachtungen, denen zufolge die Zahl der Schlaganfälle bei Erwachsenen unter 55 Jahren in den sogenannten wohlhabenden Ländern in der Vergangenheit stetig angewachsen ist.

Bisher werden in vielen Forschungsarbeiten die traditionellen Risikofaktoren und ihre Wirkung auf die betroffenen Blutgefäße im Gehirn als Hauptursachen genannt. Das vermag aber nicht zu erklären, warum es in dieser jüngeren Altersgruppe auch bei scheinbar kerngesunden Menschen zunehmend zu Schlaganfällen kommt. Ebenfalls auffällig ist die Beobachtung, dass in dieser Patient:innengruppe darüber hinaus eine abnehmende Häufigkeit von Herzinfarkten und Fällen von plötzlichem Herztod festzustellen ist. Das scheint die Erklärung des Schlaganfalls allein über die traditionellen Risikofaktoren infrage zu stellen. Denn dem Herzinfarkt und dem plötzlichen Herztod werden die gleichen Ursachen zugeschrieben wie dem Schlaganfall.

Umfangreiche Erhebungen aus den Niederlanden und den USA hatten in der Vergangenheit gezeigt, dass bei den unter 45-jährigen Frauen das Schlaganfall-Risiko verglichen mit dem von Männern bedeutend höher war. Umgekehrt fand sich bei männlichen Patienten zwischen 35 und 45 Jahren gegenüber weiblichen eine Verdopplung der Fälle von Herzinfarkten. Diese augenscheinliche Widersprüchlichkeit zwischen dem Auftreten der Erkrankungen und ihren vermuteten Ursachen veranlasste Forschende zu einer Neubewertung der bis dahin als traditionell genannten Gefahrenquellen. Deshalb nahm man nun auch „nicht-traditionelle“ Ursachen in den Blick.

Ein interessanter Befund: Unterschiedliche Altersgruppen zeigen auch unterschiedliche Gefährdungen

In der genannten Erhebung aus Colorado wurden die Gesundheitsdaten nach Altersgruppen sortiert ausgewertet, um ein möglichst hoch aufgelöstes Bild der Zusammenhänge zu erhalten.

Unter den 18–34-Jährigen nahmen wie erwartet Herz-Kreislauf-Erkrankungen, vor allem der Bluthochdruck, eine führende Rolle ein, und zwar bei beiden Geschlechtern. Besonders interessant ist aber, dass es einen nicht-traditionellen Risikofaktor gibt, der in seiner Bedeutung sogar vor dem hohen Blutdruck liegt, und das ist die Migräne.

Bei 35–44-jährigen Teilnehmenden zeigte sich im Wesentlichen das gleiche Bild. Hinzu kamen bei weiblichen Patienten als Schlaganfall-begünstigende Gefahren Erkrankungen der Herzgefäße und hormonelle Einflüsse. Insgesamt bedeutete auch in dieser Gruppe die Migräne neben dem Bluthochdruck die höchste Gefährdung.

Betrachtet man die Patient:innen im Alter von 45 bis 55 Jahren, so spielten bei Männern noch Diabetes sowie Tabak- und Alkoholkonsum und Nierenerkrankungen eine Rolle. Geschlechtsunabhängig lag auch hier die Migräne bei den nicht-traditionellen Gefahren vorne.

Insgesamt zeichnete sich bei den Auswertungen in allen Gruppen ab, dass beide Gefahrenklassen – traditionell wie nicht-traditionell – bei der Entstehung von Schlaganfällen von nahezu gleicher Bedeutung waren.

Das große Bild zeigt, vereinfacht gesagt: Je älter die Betroffenen sind, desto größer ist die Rolle der traditionellen Risikofaktoren, und je jünger sie sind, desto wichtiger werden die nicht-traditionellen. So haben in der Altersgruppe bis 35 eher Gefahrenquellen wie Migräne, Blutgerinnungsstörungen, Autoimmun- oder auch Nierenerkrankungen für Schlaganfälle einen großen Einfluss, und bei Patient:innen über 45 sind eher traditionelle Risiken wie Bluthochdruck, hohes Cholesterin, Übergewicht oder auch Bewegungsmangel entscheidend.

Die schwierige Suche nach Ursachen

Es scheint damit erwiesen, dass bei Menschen mit Migräne die Wahrscheinlichkeit, einen Schlaganfall zu bekommen, erhöht ist. Solch ein Befund ist in der Forschung aber immer erst ein Ausgangspunkt für die Suche nach den zugrundeliegenden Ursachen. Und diese ist stets wesentlich schwieriger.

Gibt es Auswirkungen der Migräne, welche die Gefahr für Schlaganfälle erhöhen, und welche kommen infrage? Finden sich in den Erbanlagen Spuren, die auf gemeinsame Krankheitsauslöser hindeuten? Ähneln sich möglicherweise die Entstehungswege beider Krankheiten? All diesen Fragen ist man nachgegangen. Immerhin fand man dabei einige Sachverhalte, die den Zusammenhang erklären könnten. Vieles aber bleibt bis heute Vermutung.

Fest steht, dass der festgestellte Zusammenhang beider Krankheiten bei Frauen in den jüngeren Gruppen (18–34 Jahre und 35–45 Jahre) besonders stark ist. Zugleich kommt Migräne bei weiblichen Patienten weit öfter vor als bei Männern. Finden sich hier Erklärungen?

Im Brennpunkt der Ermittlungen: die Blutgefäße

Bei der Ursachensuche für die Häufung von Schlaganfällen bei Menschen unter 55 Jahren stehen unter anderem Veränderungen an den Blutgefäßen im Verdacht. Es konnte gezeigt werden, dass bei den Betroffenen sowohl die Anzahl als auch die Funktionstüchtigkeit von Zellen vermindert ist, die für eine intakte Blutgefäßwand unerlässlich sind. Das macht sie instabil, spröde und anfälliger für Risse. Die Gefahr steigt noch, wenn ein hoher Blutdruck besteht. Genau dies ist bei Migränepatient:innen überdurchschnittlich häufig der Fall. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Gefäße im Gehirn von Migränebetroffenen eine erhöhte Empfindlichkeit für Krampfereignisse, sogenannte Spasmen, haben. Solche Spasmen in den Hirngefäßen gehen mit gefährlichen Verengungen der Blutbahnen einher. Es entsteht die Gefahr einer Minderdurchblutung. Außerdem können Blutgefäße durch den anliegenden Druck platzen.

Eine weitere Gefährdung geht von geschädigten Blutzellen aus, den sogenannten Blutplättchen. Diese sind normalerweise für eine ordnungsgemäße Blutgerinnung, zum Beispiel nach Verletzungen, verantwortlich. Bei diesen Zellen können Fehlfunktionen auftreten, in deren Folge es zu einer Gerinnsel-ähnlichen Verklumpung der Zellen kommt. Solche auch als „Thromben“ bezeichnete Zellmassen können kleinste Blutgefäße verstopfen. Das umliegende Hirngewebe wird nicht mehr ausreichend versorgt, oder der entstehende Überdruck lässt die ohnehin schon geschädigten Gefäßwände reißen. Das kann sehr schwerwiegende Folgen für das betroffene Hirnareal haben.

Die Migräneattacke selbst birgt eine Gefahr

Migräneattacken bedeuten große Strapazen für das Gehirn. Dabei kommt es zu einer sogenannten „Streudepolarisierung“ im Gehirn. Diesen Vorgang kann man sich vorstellen als eine sich nach und nach ausbreitende Entladung unzähliger Nervenzellen. Diese bewegt sich wellenartig über die Großhirnrinde hinweg. Das ist nicht nur die Ursache für den Migräne-Kopfschmerz, sondern führt auch zu einer Minderdurchblutung der Areale, die von der Erregungswelle betroffen sind. In schweren Fällen, bei langer Dauer der Attacken oder auch bei erblich vorbelasteten Patient:innen kann es zur Schädigung der betroffenen Gebiete im Gehirn und dem schlaganfall-typischen Krankheitsbild kommen.

Die Rolle von Hormonen

Für weibliche Migränepatientinnen gehören medikamentöse Mittel zur Empfängnisverhütung („Pille“) zu den Gefahrenquellen. Während das Risiko für Schlaganfälle bei Frauen ohnehin höher ist als bei Männern, steigt es weiter durch die Hormoneinnahme: Laut einer durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) veranlassten Untersuchung erhöhen hormonelle Verhütungsmittel die Gefahr um das Achtfache im Vergleich zu migränebetroffenen Frauen, die solche Präparate nicht einnehmen. In weiteren Erhebungen fand man ein erhöhtes Risiko auch bei sogenannten Hormon-Ersatzbehandlungen zur Behandlung von Beschwerden während der Wechseljahre der Frau. Damit stellen hormonelle Einflüsse erhebliche Gefährdungen im Hinblick auf Schlaganfälle dar.

Wissen ermöglicht Vorbeugung

Die Zusammenhänge zwischen Migräne und Schlaganfällen sind äußerst kompliziert. In den bisherigen Forschungen zeigt sich, dass dabei eine Vielzahl von Gefahrenquellen von Bedeutung ist. Diese stehen zudem teilweise miteinander in Wechselwirkung. Außerdem spielen Alter und Geschlecht der Betroffenen eine Rolle. Die Wissenschaft kann trotz vielfältiger Forschungsansätze bisher kein geschlossenes Erklärungsmodell liefern.

Dennoch ergeben sich mit dem stetigen Fortschritt in der Forschung für die Patient:innen durchaus Möglichkeiten, das eigene Gefahrenpotenzial immer besser einordnen zu können. Mit sachkundiger medizinischer Unterstützung lassen sich persönliche Gefährdungen frühzeitig erkennen und bestmöglich behandeln. Unabhängig vom Zusammenhang der Migräne mit Schlaganfällen können Betroffene durch persönliche Migräne-Vorbeugung eine erhebliche Besserung ihrer Beschwerden erzielen. Die nachhaltige Wirksamkeit solcher Ansätze ist inzwischen gut belegt. Außerdem zeigt sich: Patient:innen, die anhand ihres persönlichen ‚Migräne-Musters‘ vorbeugende Maßnahmen umsetzen, können eine merkliche Minderung in der Anzahl und Schwere der Attacken erreichen.

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